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Die Geschichte vom Hut

Ich will erzählen von dem Hut, den mir ein göttlicher Geist einst vom Kopfe geweht, hinter dem ich nun her renne, über Stock und Stein, bergauf und bergab, um ihn wieder zu erhaschen, damit ich wieder behütet sei.

Aber der Hut ist wohl nur ein Vorwand, eine Neckerei meines Schutzengels, der dabei weise lächelt. Denn da ich den Hut zu erhaschen trachte, bewege ich mich so, wie auch der Geist weht. Und da wir nun schon seit Jahren den gleichen Weg haben, wurden wir zwei gute Bekannte.

Da sagte eines Tages, als wir auf einer weiten, leeren Ebene angekommen waren, mein Bekannter:

Ach, da wehe ich nun schon ein Zeitalter lang den Menschen die Hüte vom Kopf. Die meisten sagen ja, daß es ihnen ganz recht sei, da könnten sie sich freier bewegen. Und diese steifen Zylinderhüte seien sowieso nicht mehr in Mode. Weißt du, sagte mein Bekannter, dies ist ein anstrengendes Geschäft geworden und ich werde langsam müde. Aber da wir in all den Jahren den gleichen Weg hatten, wirst du  vielleicht ein wenig gelernt haben von meinem Geschäft und weißt jetzt, wie der Geist für den Menschen wehen muß. Willst du nicht an meine Stelle treten, denn ich fühle, daß meine Zeit gekommen ist.

Und er setzte sich auf einen Stein und seufzte.

In diesem Moment, da er aufhörte zu wehen, lag auch mein Hut, nach dem ich so lange Sehnsucht gehabt hatte, ruhig vor mir, daß ich ihn mit Händen greifen konnte. Doch als ich ihn so liegen sah, merkte ich, daß er arg mitgenommen war, ganz eingedrückt und aus der Form und vom Regen etwas eingegangen, so daß er mir wohl nicht mehr passen würde. Und ich dachte mir: der da taugt nicht mehr zu einem Hut für mich. Ich ließ den Hut liegen, wo er war und setzte mich neben meinen Bekannten und seufzte ebenfalls.

Nun, sagte er, willst du den Hut nicht mehr, hinter dem du solange her warst ?

Sieh ihn an, sagte ich, er paßt mir nicht mehr. Was soll ich jetzt tun?

Du warst nun schon so viele Jahre ohne Hut und bist doch deinen Weg gegangen, sagte er.

Meinen Weg, fragte ich, ich bin doch die ganzen Jahre hinter dem Hut her gelaufen, den du vor mir her triebst!

Oh, dieser Mensch, murmelte mein Bekannter vor sich hin. Ich hatte gehofft, er hätte etwas verstanden in all den Jahren. Und zu mir gewandt fuhr er fort:

Ja, weiß du denn nicht, daß ich die ganze Zeit den Hut immer so vor dir her treiben mußte, wie dein Weg ging? Oh, und was für ein schwerer Weg das oft war! Über Stock und Stein wolltest du gehen, bergauf und bergab! Wenn es bergauf ging, da mußte ich tüchtig wehen, damit der Hut nicht liegen blieb und du nicht auf halbem Wege aufhörtest. Wenn es bergab ging, da mußte ich aufpassen, daß der Hut nicht zu schnell rollte, damit du ihn nicht aus den Augen verlorst. Allerdings, in den letzten Jahren hattest du manchmal diese Räder unter den Schuhen. Da mußte ich mich sehr anstrengen, daß du nicht schneller warst, als ich wehen konnte, denn dann hättest du womöglich dein Ziel überrollt und es nicht mehr vor Augen gehabt.  - Ich sagte dir ja, es ist ein schwieriges Geschäft geworden für unsereins.

Nach diesen Worten schwieg er eine Weile, sah mich prüfend an und fuhr dann fort:

Jetzt, da du mein Geheimnis kennst, kann ich dir nicht mehr dienen, denn es ist in Wahrheit dein eigenes Geheimnis.

In der Zwischenzeit waren dunkle Gewitterwolken vom Horizont herauf gezogen, die Sonne verfinsterte sich, und ich sah mich nach einem Unterstand um, damit ich geschützt sei vor den grellen Blitzen der Götter und dem lauten Donnern ihres Rufes. Es war aber auf der ganzen Ebene weit und breit nichts zu finden, denn sie war kahl und leer und als ich mich an meinen Bekannten wenden wollte, da sah ich, daß er fort gegangen war.

Wo bist du, rief ich mit banger Stimme, komm zurück!

Aber ich wußte schon, er würde nicht wiederkommen.

Als der Regen anfing und mir auf den Kopf prasselte, warf ich noch einen letzten Blick auf den alten Hut und machte mich dann auf den Weg zum Horizont - nach hause.

O. Andersen, August 98   

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